Wenn Spürnasen irren: Zweifel an Mantrailer-Studie von Uni Leipzig und sächsischer Polizei – Manipulationsvorwürfe zu Forschung

Haben Wissenschaftler die Leistungsfähigkeit von Polizeihunden stark übertrieben, damit deren Spürnasen vor Gericht mehr Beweiskraft erhalten? Eine schlagzeilenträchtige Studie der Uni Leipzig steht jetzt wegen Manipulationsvorwürfen massiv in der Kritik.

Leipzig. Der Partner mit der kalten Schnauze vollbringt mit seiner Spürnase so manches Wunder. Im Kino und Fernsehen jedenfalls, und vielleicht ist das ja ein Grund dafür, dass die Erwartungen an Polizeihunde auch im echten Leben manchmal überborden. Was aber, wenn die Polizei selbst die Hoffnung auf Unfehlbarkeit schürt und dafür auch noch vermeintliche wissenschaftliche Beweise ins Feld führt? Dann hat die Geschichte das Zeug für einen handfesten Forscherstreit – und genau das passiert aktuell aufgrund einer Doktorarbeit der Universität Leipzig.

Der Fall beginnt vor mehr als drei Jahren. Auch die Leipziger Volkszeitung stimmt im Januar 2018 in einen überregionalen Jubelchor ein, nachdem Polizeidirektor Leif Woidtke sowie die Rechtsmediziner Carsten Babian und Jan Dreßler erstmals öffentlich ihre Spürhunde-Studie vorgestellt haben. Die Arbeit bescheinigt sogenannten Mantrailer-Hunden, dass sie menschliche Geruchsspuren in 98 Prozent der Fälle erkennen und nicht nur das: In einer Pressemitteilung, einem Tweet und in Pressegesprächen wird der Eindruck erweckt, den Hunden genüge etwas DNA, um eine Spur zu erschnüffeln. „Eine Sensation“, heißt es damals, auch wenn die Autoren ihre Ergebnisse in der wissenschaftlichen Publikation selbst weitaus differenzierter als gegenüber den Medien darstellen.

Erste Kritik kommt auf, aber es dauert noch einige Monate, bis die Uni in einer zweiten, eher unauffällig platzierten Pressemitteilung ein Stück weit zurückrudert: „Ein DNA-Mantrailing wird es in der polizeilichen Praxis nie geben“, ist auf einmal zu lesen. Zudem seien die 98 Prozent lediglich eine „statistische Kennzahl“, stellt man klar und beziffert die eigentliche Erfolgsquote von Polizeihunden nur noch auf 82 Prozent und von Rettungshunden auf 65 Prozent. Danach kehrt Ruhe ein, doch Polizist Woidtke forscht weiter und gut zweieinhalb Jahre später, im Oktober 2020, erhält er für seine Ausweitung der Studie die Doktorwürde der Uni Leipzig. Gleichzeitig tauchen jedoch neue Vorbehalte gegen die wissenschaftliche Qualität der Forschung auf.

Fachmagazin warnt inzwischen vor der Studie

Seit Kurzem versieht das Fachmagazin „Forensic Science International“, das die Studie im Januar 2018 publizierte, die damalige Online-Veröffentlichung mit einem Warnhinweis und einer Entschuldigung: Wegen erheblicher Zweifel an den Methoden raten die Herausgeber der Zeitschrift dazu, die Ergebnisse in Strafverfolgung und Rechtssprechung mit Vorsicht zu genießen. Sie bedauern, dass ihnen die Mängel der wissenschaftlichen Arbeit zuvor durchgerutscht seien. An der Uni Leipzig befasst sich neuerdings die „Ständige Kommission zur Untersuchung wissenschaftlichen Fehlverhaltens“ mit der Frage: Hat Woidtke die Daten manipuliert?

Dessen ist sich jedenfalls Kai-Uwe Goss sicher. Der Professor leitet das Department für Analytische Umweltchemie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Goss ist Experte dafür, wie sich Geruchsmoleküle in der Luft verhalten. Bis 2016 arbeitete er mit Woidtke und Babian zusammen. „Bis ich merkte, dass sie keine ergebnisoffene Forschung betreiben und es nicht hören wollten, wenn ich auf die Bremse trat“, sagt er. Die erst vor wenigen Tagen veröffentlichte Doktorarbeit kennt Goss bislang nicht, aber ihr Kern ist die Studie von 2018 – und darin hat er die statistischen Ungereimtheiten entdeckt, die jetzt die Überprüfung in Gang gesetzt haben.

Haben die Forscher Proben unterschlagen?

Woidtke, Babian und Dreßler belegen ihre These von der enormen Leistungsfähigkeit der Mantrailer-Hunde mit 675 Fährten-Tests, die sie zwischen 2014 und 2017 verwirklichten. Dabei standen den Hundeführern jeweils drei Proben zur Auswahl, aus denen sie zufällig auswählten: zwei von einem fingierten Tatort und Täter, eine Probe ohne Bezug dazu – als Negativkontrolle, um zu prüfen, ob die Hunde niemanden zu Unrecht beschuldigen. Folgten die Tiere nur den tatsächlichen Spuren? Fast immer ja, behaupten die drei Autoren. In weniger als fünf Prozent ordneten sie eine Person fälschlicherweise dem Test-Tatort zu.

Statistisch müssten die Hundeführer in etwa einem Drittel der Fälle eine Negativprobe gezogen haben. Doch in der Studie tauchen statt zu erwartenden 225 lediglich 158 Kontroll-Päckchen auf. Wie kann das sein? In einem offenen Brief an Uni-Rektorin Beate Schücking schreibt Goss dazu: „Es liegt nahe zu vermuten, dass circa 70 Ergebnisse unterschlagen wurden.“ Sein Verdacht: Sie erbrachten nicht das erwünschte Resultat. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Hund einen Unschuldigen erwische, liege „damit wohl eher bei 35 als unter fünf Prozent“, rechnet er vor. Ein von der Fachzeitschrift beauftragter Statistiker hält es ebenfalls für unplausibel, dass die Hundeführer so wenige Negativproben zogen. Das Magazin schlussfolgert, dass die Herrchen und Frauchen ihre Auswahl entweder nicht wie behauptet zufällig trafen oder „eine relevante Anzahl negativer Spuren bei der statistischen Auswertung ausgeschlossen wurde“. Eine unabhängige Prüfung sei aber nicht möglich: Die Studien-Autoren rücken ihre Rohdaten nicht heraus.

Kritiker Goss fordert unabhängige Aufklärung

Ebenso wenig beantworten die drei Forscher eine LVZ-Anfrage zum Thema. An ihrer Stelle reagierten die Presseabteilungen der Hochschule der Sächsischen Polizei in der Oberlausitz, an der Woidtke doziert, sowie der Uni Leipzig mit ein und demselben vorformulierten Text: mit einem Beitrag, den das Uni-Magazin zuvor online in Reaktion auf Goss‘ offenen Brief und einen damit konzertierten Artikel im Nachrichtenmagazin „Spiegel“ veröffentlicht hatte. Man nehme die Kritik ernst, heißt es darin. Unter anderem wird Prorektor Erich Schröger zitiert: „Wir beschäftigen uns auf mehreren Ebenen mit den Vorwürfen. Mit welchem Ergebnis lässt sich derzeit noch nicht sagen.“

Goss glaubt indes nicht daran, dass ein Uni-Gremium die eigenen vorherigen Entscheidungen revidiert. Er fordert unabhängige Aufklärung. Der Chemiker hält Woidtkes Forschung nicht nur für unseriös, sondern sogar für gefährlich: „Aufgrund der angeblichen Hunde-Beweise aus Sachsen saßen Beschuldigte schon bis zu zwei Jahren in Untersuchungshaft, obwohl sich die Vorwürfe letztlich nicht erhärten ließen“, sagt er. Die Leistung der Hunde gerichtsfest zu machen, ist das erklärte Ziel des Mantrailer-Forschungsprojekts: Von einem „hohen Beweiswert“ sprach Woidtke vor drei Jahren beim Pressetermin, Co-Autor Babian sagte der LVZ schon zu Beginn des Vorhabens 2014: „Wir hoffen, dass durch diese Studie die Hunde häufiger eingesetzt werden und dass ihre Zuverlässigkeit nicht mehr diskutiert wird.“ Sieben Jahre später nimmt die Debatte über den Partner mit der kalten Schnauze allerdings offenbar erst so richtig Fahrt auf.